© avda-foto flic.kr/p/fTQJQF
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€LAN

Wo wollen Menschen leben, wenn die Energiepreise steigen? Wo siedeln sich dann Unternehmen an? „€LAN“ vereint Mobilität und Raumplanung zu einem integrierten Landnutzungs- und Verkehrsmodell für die Metropolregion Hamburg. Das Pilotvorhaben bewegt zum Umdenken.

Beeinflussen Energiekosten die Standortwahl?

Bereits heute muss der durchschnittliche Haushalt in Deutschland für Wohnen, Energie und Mobilität etwa 30 Prozent seines Nettoeinkommens aufwenden. Dieser Anteil wird voraussichtlich langfristig weiter zunehmen. Durch die steigende Nachfrage nach Rohstoffen auf den globalen Märkten und die Endlichkeit fossiler Energieträger ist langfristig von steigenden Energiepreisen auszugehen. Energiepreise (Kraftstoff, Heizung und Elektrizität) wirken sich direkt auf die Kosten in den Bereichen Wohnen und Verkehr aus. Daher spielen sie eine zentrale Rolle bei der Standortwahlentscheidung von Haushalten und Unternehmen. Das Projekt €LAN untersuchte, inwieweit ein dauerhafter Anstieg der Energiepreise Haushalte und Unternehmen zu einem veränderten Mobilitäts- bzw. Standortverhalten zwingen wird. Hierbei war vor allem von Interesse, welche Haushaltstypen und welche Raumstrukturtypen besonders stark betroffen sein werden. Auch die Wechselwirkungen zwischen einem Anstieg der Energiepreise und anderen starken Trends der Raum-, Sozial- und Wirtschaftsentwicklung wurden betrachtet.

Das transdisziplinäre Team aus Forschung und Praxis widmete sich auch der Frage, in welchem Umfang
Politik und Planung diese Betroffenheit abmildern. Welche Rückwirkungen haben diesbezügliche Optionen auf ökonomische, ökologische und soziale Systeme?

Ziel des Projektes war es, Handlungsstrategien für Politik und Planung abzuleiten und dabei die Anschlussfähigkeit dieser Strategien mit Blick auf andere für die Landnutzung bedeutsame Themen, z.B. Klima, Demografie, soziale Gerechtigkeit, darzustellen.

Beeinflussen Energiekosten die Standortwahl?

Für das Projekt €LAN wurde ein methodischer Ansatz erarbeitet, der auf einer intensiven inter- und transdisziplinären Zusammenarbeit fußt. Dazu wurde ein integriertes Landnutzungs- und Verkehrsmodell entwickelt, mit dessen Hilfe sich Auswirkungen der Energiepreisentwicklung und anderer Faktoren räumlich konkret auf Mobilitäts- und Standortentscheidungen der Bevölkerung sowie der Wirtschaft simulieren lassen.

Dieses Modell wurde mit einem sozialwissenschaftlichen Experiment – einem Planspiel – gekoppelt, in dessen Rahmen die beteiligten Akteure aus Politik und Verwaltung aufgefordert waren, Ziele, Maßnahmen und Strategien in ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereichen zu definieren, um den im Modell simulierten Auswirkungen der Energiepreisentwicklung zu begegnen. Dadurch entstand ein iterativ aufgebautes Simulationsexperiment aus Modell und Planspiel, das für den konkreten Untersuchungsraum der erweiterten Metropolregion Hamburg und einen Betrachtungszeitraum von 20 Jahren (2010-2030) durchlaufen wurde.

Als Input für die Planspiele wurden die Modellergebnisse in anschauliche Materialien wie beispielsweise einen „Raummonitor“ und fiktive Mediaclippings übersetzt. Auf Grundlage dieser Arbeitsmittel haben verschiedenste Akteure der kommunalen Ebene sowie von der Ebene der Länder und des Bundes in einer Reihe von moderierten Sitzungen, die den Entscheidungsprozess abbildeten, zusammen über Handlungsoptionen diskutiert und Antworten in Form von Maßnahmen und Strategien auf die prognostizierten Szenarien formuliert.

Iterative Phasen kennzeichnen das €LAN-Modell. © €LAN
Iterative Phasen kennzeichnen das €LAN-Modell. © €LAN

Zusammenhänge zwischen Energie und Landnutzung

Mit Hilfe des Modells konnte nachvollzogen werden, wie sich steigende Energiepreise im Untersuchungsraum auf die privaten Haushalte auswirken werden. Ein Anstieg der Energiepreise bewirkt demnach steigende Ausgaben für Verkehr und Wohnen, was wiederum zu verringerten Sparquoten und zu Einschränkungen im Konsum führen kann. Besonders die Budgetrestriktionen der Geringverdiener setzen diese zunehmend unter Druck, geeignete Anpassungsmaßnahmen vorzunehmen, um den Anstieg der Energiepreise finanziell abfedern zu können. Ohne einen solchen Handlungsdruck reagieren private Haushalte in vielen Fällen jedoch nicht unmittelbar auf Energiepreissteigerungen. Steigende Energiepreise führen nicht nur zu unterschiedlichen Betroffenheiten bei den privaten Haushalten, sie wirken auch räumlich selektiv. Langfristig werden somit die preissensibleren Haushalte und Unternehmen zum Handeln gezwungen werden, wenn sie durch schlecht angebundene oder periphere Standorte ihre steigenden Mobilitätskosten nicht mehr durch andere Maßnahmen oder Effekte kompensieren können.

Diese Verschiebungen finden ihre Rückkopplung wiederum in den Wohnungsmärkten, den Einwohnerzahlen von Gemeinden und Regionen, aber auch in den Nutzungshäufigkeiten des ÖPNVs. Je nach tatsächlicher Höhe der Preise finden kleinere oder größere Verschiebungen statt, die insgesamt demografische Trends der Raumentwicklung noch verstärken. Große Zentren werden eher unter dem Druck einer schneller ansteigenden Bevölkerung leiden, mit allen Folgen für die eigene Infrastruktur und die sozialen Ausgaben, wohingegen die ländlicheren Gemeinden noch stärker von Einwohnerverlusten und Überalterung betroffen sein werden. Die Mittelzentren könnten jedoch dahingehend „profitieren“, dass Bevölkerungsverluste kompensiert werden.

Anpassung an Energiepreissteigerungen

Einige Elemente für prägnante kommunale Handlungsstrategien sind in folgender Tabelle als Schlaglichter zusammengefasst. Vielfach wurden im Planspiel Maßnahmen genannt, die weitestgehend aus den Strategien zur Anpassung an den demografischen Wandel stammen. Dabei geht es vor allem um den Erhalt von Angeboten (soziale Infrastruktur, Einzelhandel) durch Umorganisation, Subventionierung oder Umbau.

Die Zentren könnten hingegen unter (zu) starken Druck auf ihre Wohnungsmärkte geraten und suchen daher nach Möglichkeiten, die Infrastrukturausbaubedarfe (u.a. auf den Hauptachsen und -knotenpunkten des ÖPNV) in den Griff zu bekommen. Aufgrund der Individualität der Gemeinden und ihrer Problemlagen kann jedoch keine verallgemeinernde Optimierungsstrategie genannt werden. Die Einordnung der lokalen Maßnahmen auf eine größere regionale Ebene zeigt, dass Grenzen der universellen Anwendung identischer Maßnahmen bestehen und die regionale Perspektive Berücksichtigung finden muss. Die Attraktivitätssteigerung einer Kommune durch die Kompensation von Energiepreis-Nachteilen des Standorts kann beispielsweise nur so lange positive Entwicklungen bewirken, wie diese Strategie einen Vorteil gegenüber anderen Kommunen darstellt.

Ausgewählte Maßnahmenrichtungen zur Anpassung an Energiepreissteigerungen © €LAN
MaßnahmenrichtungBeschreibung
Effizienteres Wohnen und Mobilität durch energiesparsamere Fahrzeuge und ImmobilienAuto-abhängige (kleine) Gemeinden sehen keine Chance, das Auto zu ersetzen. Zielrichtung ist daher eine Effizienzsteigerung durch effizientere Fahrzeuge und eine Erhöhung des Besetzungsgrades. Für alle Gemeinden wird die Nutzung des im Gebäudesektor vorhandenen Energieeinsparpotenzials als Chance gesehen, das mittels verschiedner Maßnahmen realisiert werden sollte.
Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) als Mobilitätsretter und das neue Glück auf zwei RädernGemeinden am Rande attraktiver ÖPNV-Bedienungsstandards sehen den ÖPNV als Retter der Mobilität und denken über signifikante Verbesserungen nach. Dabei vermuten sie große Berührungsängste ihrer Einwohner mit dem ÖPNV. Viele Kommunen sehen im E-Bike-Trend eine große Chance, insbesondere unter den Verknüpfungsmöglichkeiten mit dem ÖPNV. Es wird die Hoffnung formuliert, dass über die Kopplung mit den positiv behafteten E-Bikes ein Stück weit das positive Image (auch bei Älteren) auf den ÖPNV übertragen wird.
Autarkie auf verschiedenen Ebenen und Energiepreis-Nachteile des Standorts wegkompensierenEinige Gemeinden streben nach einer möglichst vielschichtigen Autarkie: eigene Energieerzeugung (Windkraftparks, Bioenergiedorf etc.), dezentrale Unternehmensansiedlung (in der eigenen Gemeinde), Halten von Infrastrukturen, Bindung von Kaufkraft, usw. Diese Strategie setzt jedoch für jedes Themenfeld entsprechende vorhandene Ansatzpunkte voraus (Kaufkraft, Schule etc. muss vorhanden sein). Einige (eher periphere) Gemeinden versuchen, die ihnen durch die Energiepreisentwicklung enstehenden Standortnachteile durch die Herausarbeitung anderer Standortvorteile auszgleichen.
E-Everything mit lokaler Verankerung und/oder rollende Angebote - Der Service kommt zu unsViele Kommunen sehen in den digitalen Medien ein erhebliches Potenzial für eine energieeffizientere Mobilität ihrer Bürger. Sehr wichtig ist dabei aber die lokale Verankerung. Diese hat sowohl bauliche Komponenten (z.B. Carsharing-Angebote und den hellen und freundlich gestalteten Pendlerparkplatz am Ort) als auch soziale Komponenten (kommunale Initiativen zur Nutzung von Carsharing, App-Mentoren etc.) Im sehr ländlichen Raum werden mobile Angebote wieder als Alternative diskutiert.

Synergien mit Projekten zu Demografie und Klimaschutz nutzen

Darüber hinaus fehlt es an Zielsystemen der Politik und Gesellschaft. Hier kommt zunächst der übergeordneten Ebene des Bundes die Aufgabe zu, Leitgedanken zu kommunizieren, so dass eine Anpassung der weiteren Systeme erfolgen kann. Die Bemühungen von einzelnen Gebietskörperschaften sind im Wesentlichen hiervon abhängig. Zwar sind vielversprechende Ansätze auf kommunaler Ebene vorhanden; dennoch scheint die nötige Durchsetzungskraft solcher Ideen im Fokusraum bisher zu fehlen. Zudem wirken Maßnahmen stark von Klimawandel oder demografischem Wandel geprägt.

Daher sind politische Akteure schon heute dazu aufgerufen, die Folgen von Energiepreissteigerungen insbesondere auf die Landnutzung in die theoretische Diskussion und vor allem in die Planungspraxis zu integrieren. Dabei sind die Trends des demografischen Wandels sowie der Reurbanisierung, deren Auswirkungen auf die Landnutzung ähnlichen Mustern folgen, in die Prozesse einzubeziehen. Bereits in den Planspielen zeigte sich, dass die formulierten Reaktionen der Praxispartner auf steigende Energiepreise häufig im Einklang mit den genannten anderen großen Themenbereichen des Landmanagements stehen. Die vorhandenen Synergieeffekte mit Programmen z.B. zum demografischen Wandel oder regenerativen Energien sowie insbesondere auch dem Klimaschutz sollten entsprechend genutzt und angepasst werden, um hier einen Gestaltungsspielraum offenhalten zu können.

Potenziale des Landnutzungs- und Verkehrsmodells

Die Verbindung des integrativen Landnutzungs- und Verkehrsmodells mit den Planspielen hat sich als innovative Methodik bewährt. Daneben hat sich gezeigt, dass die angewandte Methodik ebenfalls wirksam zur Förderung von Kooperationen der einzelnen Gebietskörperschaften untereinander angewendet werden kann, da sich die Interaktion von verschiedensten Akteuren auf der kommunalen Ebene als gewinnbringend herausgestellt hat. Dieser Punkt hat deutlich gemacht, dass eine entsprechende Schnittstelle zwischen den Akteuren bisher fehlt bzw. die bereits vorhandenen Schnittstellen bei gewissen komplexeren Problematiken an ihre Grenzen stoßen.

Ebenso bietet das im Projekt entwickelte Modell Möglichkeiten einer sinnvollen Verwertung. Auch wenn die vollständige Dynamisierung in der kurzen Projektlaufzeit nicht erreicht werden konnte, beinhaltet das integrierte Landnutzungs- und Verkehrsmodell im Vergleich zu bisherigen Verkehrsmodellen ein weitaus differenzierteres Abbild der Realität und bietet bei entsprechender Weiterentwicklung großes Potenzial für verschiedene Anwendungsfelder. Denkbar wäre z.B. die Aufnahme von CO2-Kennwerten in das Modell. In einem Leitprojekt der Metropolregion Hamburg zu Erreichbarkeitsanalysen werden die aufgebauten Datengrundlagen für die Weiternutzung durch die Gebietskörperschaften der Metropolregion eingebracht. Darüber hinaus wird an einer Forschungskooperation mit dem ILS Dortmund zur Weiterentwicklung gearbeitet.