© Universität Greifswald
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VIP

Klimaschutz plus Ökonomie: „VIP“ nutzt in Vorpommern Moore als Rohstoff- und Energielieferanten. Es stellt aus Schilf Baumaterial und Briketts für die regionale Wärmeversorgung her. Das Projekt schafft einen regionalen Win-Win-Kreislauf. Ein preisgekröntes Modell.

Moore werden überwiegend landwirtschaftlich genutzt

Die Schwerpunkte der Moorverbreitung in Deutschland liegen in der Norddeutschen Tiefebene (78 Prozent) und im Alpenvorland (20 Prozent). Moore haben sich dort gebildet, wo aufgrund dauerhafter Wassersättigung (Sauerstoffabschluss) die abgestorbenen Pflanzenteile nicht vollständig zersetzt wurden und sich als Torf akkumulierten.

Der Gesamtbestand der Moore (Moorböden) in Deutschland wird auf 1.419.000 ha geschätzt. Davon gehören 336.000 ha zu den Regenmooren (Hochmoore) und 1.083.000 ha zu den Niedermooren. Über 910.000 ha (65 Prozent) werden landwirtschaftlich genutzt.

Massive Folgen der Moornutzung

Die herkömmliche Landnutzung auf Moorstandorten wie die Grünfutter-, Silage- und Heugewinnung oder eine ackerbauliche Nutzung wie der Anbau von Mais erfordert die Absenkung der Grundwasserstände.

Infolge der Trockenlegung wird der über Jahrtausende gebildete Torfkörper durch Mikroorganismen zersetzt, was zu Bodendegradation und Sackung der Oberfläche führt. Die Folgen sind steigende Entwässerungskosten, zunehmende Bewirtschaftungsprobleme sowie der Verlust landwirtschaftlicher Produktionsflächen. Aus den entwässerten Mooren in Deutschland entweichen dabei jährlich 27,2 Millionen Tonnen Kohlendioxid.

Oberirdische Biomasse aus nassen Mooren wird mit Spezialtechnik geerntet und stofflich bzw. energetisch verwertet. © B. Herold
Oberirdische Biomasse aus nassen Mooren wird mit Spezialtechnik geerntet und stofflich bzw. energetisch verwertet. © B. Herold

Lösung durch Paludikultur

Paludikultur („palus“ – lat.: Sumpf), die nasse Nutzung von Moorböden, erhält den Torfkörper und schont das Klima wie die Umwelt. Paludikultur erzeugt nachwachsende Rohstoffe ohne Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion und bietet Einkommensalternativen in strukturschwachen Regionen. Paludikultur schafft eine dauerhafte Nutzungsoption und bietet Synergien für den Umwelt-, Natur- und Klimaschutz.

Bei der Paludikultur werden Pflanzen genutzt, die an hohe Wasserstände angepasst sind. Die häufigsten nutzbaren halmgutartigen Pflanzenarten auf wiedervernässten Niedermooren sind Gemeines Schilf (Phragmites australis), Rohrglanzgras (Phalaris arundinacea), Rohrkolben (Typha spec.) und Großseggen (Carex spec.).

Schilfkultur für die Gewinnung von Dachreet. © B. Herold
Schilfkultur für die Gewinnung von Dachreet. © B. Herold

Praxisnahe Konzepte zur Bewirtschaftung nasser Moore

Sechs Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalente werden jährlich aus den entwässerten Mooren in Mecklenburg-Vorpommern freigesetzt. Das entspricht 27 Prozent der Treibhausgasemissionen des Bundeslandes. Es müssen neue Konzepte zur nachhaltigen Bewirtschaftung von Mooren entwickelt und umgesetzt werden, um die Klimaschutzziele zu erreichen.

Das Projekt „VIP - Vorpommern Initiative Paludikultur” hat neue Akzente bei der Bewirtschaftung nasser Moore gesetzt. Die Untersuchungsräume erstreckten sich überwiegend auf den Landkreis Vorpommern-Greifswald. Die Paludikultur wurde hier für den weltweiten Einsatz erprobt – unter besonderer Berücksichtigung der Schließung regionaler Wasser- und Stoffkreisläufe zur Steigerung regionaler Wertschöpfung und als Beitrag zum Klimaschutz.

Das VIP-Team erarbeitete die Grundlagen für die Umsetzung eines nachhaltigen Landmanagements auf Moorstandorten. Die Ergebnisse des Verbundprojektes sind in einer gemeinsamen Buchpublikation zusammengefasst.

„Paludikultur ist die einzige Möglichkeit, Moore klimaschonend zu bewirtschaften.“

Prof. Dr. Hans Joosten, Universität Greifswald

Arbeitsfelder von „VIP – Vorpommern Initiative Paludikultur”:

• Einsatz und Entwicklung angepasster Erntetechnik

• Entwicklung neuer Produkte aus der stofflichen Verwertung von Schilf und Rohrkolben

• Untersuchung der energetischen Verwertungspotenziale von Niedermoorbiomasse in Form von Biogas, Pellets und Briketts

• Bestimmung der Potenziale und der Rentabilität der stofflichen und energetischen Verwertung

• Analyse der rechtlichen, agrarpolitischen und sozioökonomischen Rahmenbedingungen

• Beratung von Landwirten und Entscheidungsträgern

• Evaluierung der Moornutzung hinsichtlich der Auswirkungen auf Biodiversität und Klima

• Analyse der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Mooren und Schutzbegründungen

• Dialog mit Akteuren aus Politik, Verwaltung und Agrarwirtschaft sowie Bürgern der Region

• Untersuchung der Anschlussfähigkeit und Nachhaltigkeit der nassen Moorbewirtschaftung

• Gestaltung nationaler und internationaler Rahmenbedingungen für die Umsetzung eines nachhaltigen Landmanagements auf Mooren

• Übertragung von Paludikultur nach Weißrussland, Indonesien und China

Idealer Baustoff: Lehmbauplatte mit Schilf. © VIP
Idealer Baustoff: Lehmbauplatte mit Schilf. © VIP

Baustoff und Energieträger

In dem Projekt wurden unter anderem neue Produkte mit Biomasse aus nassen Mooren entwickelt. Schilf eignet sich hervorragend als Grundmaterial für innovative Baustoffe. Speziell aufgefasertes Schilf kann z.B. mit einem mineralischen Binder zu hitzebeständigen Brandschutzplatten verarbeitet werden. Aus Rohrkolben entstand eine umweltfreundliche Einblas-Dämmung.

„Die gesetzlichen Rahmenbedingungen müssen aber noch angepasst werden, damit Schilf in wiedervernässten Mooren angebaut werden kann. Diezerstörerische Nutzung vonMooren ist paradoxerweiseerlaubt und wird gefördert, klimaschonende Alternativen werden hingegen eingeschränkt.“

Christian Schröder, Universität Greifswald

Ein weitaus größeres Marktpotenzial besteht für die energetische Nutzung der Biomasse. Im Biomasseheizwerk in Malchin (Mecklenburg-Vorpommern) wird mittlerweile Biomasse aus nassen Mooren verfeuert und Wärme erzeugt. Schilf überzeugt hierbei im Vergleich mit fossilen Energieträgern durch eine bessere Klimabilanz und günstigere Brennstoffkosten.

Prof. Joosten (rechts) erhält für VIP den Forschungspreis für Nachhaltige Entwicklung 2013 von Staatssekretär Dr. Georg Schütte. © Marc Darchinger
Prof. Joosten (rechts) erhält für VIP den Forschungspreis für Nachhaltige Entwicklung 2013 von Staatssekretär Dr. Georg Schütte. © Marc Darchinger

Impulse für weltweiten Klimaschutz

Der renommierte Forscher Prof. Dr. Hans Joosten hat mit seinem Team wesentliche Grundlagen für die Weiterentwicklung und internationale Verbreitung der nassen Moornutzung erarbeitet. So wurde das Konzept von Paludikultur nun auch in die Rahmenverhandlungen zum Klimaschutz durch den Weltklimarat (IPCC), das Europäische Parlament sowie die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) aufgenommen – ein wichtiger Meilenstein für die Änderung der Landnutzung auf Moorstandorten.

Das VIP-Projekt wurde für seine Arbeiten mit dem Forschungspreis Nachhaltige Entwicklung (2013) sowie dem CULTURA-Preises 2013 durch die Alfred Töpfer Stiftung ausgezeichnet.